Normandie nue Frankreich 2018 – 105min.

Filmkritik

Ein Dorf zieht sich aus

Irene Genhart
Filmkritik: Irene Genhart

Philippe Le Guay lässt die Anliegen eines von der Krise gebeutelten französischen Bauerndorfes und Ambitionen eines amerikanischen Fotografen aufeinanderprallen. Resultat ist eine herzhafte Dramödie, zu verorten zwischen kecker Wir-Machen-Mobil-Komödie und französischem Sozialkino.

Frankreichs Agrarwirtschaft, vor allem die Kleinbauern, stecken in der Krise, auch die in der Normandie gelegene Gemeinde Le Mêle-sur-Sarthe kämpft um ihr Überleben. Um in Paris auf sich aufmerksam zu machen, erstellen die Dörfler unter Bürgermeister Georges Balbuzad eine Strassenblockade. In dieser strandet der US-Starfotograf Blake Newman. Er befindet sich auf dem Rückweg von einer Recherche und will eilig seinen Flieger erreichen, da erweckt ein sanft hügeliges Feld vor seinem inneren Auge die Vision der nackt auf der Wiese versammelten Dorfbevölkerung: Es ist in der Figur des von Tobey Jones gespielten Newman unschwer der US-Konzeptkünstlers Spencer Tunick auszumachen, der mit riesigen Fotos von in meist urbanen Räumen nackt posierenden Menschengruppen weltweit von sich reden macht. Balbuzad kann der Idee durchaus etwas abgewinnen, und auch die Dörfler wissen eigentlich, welch Glück das für sie bedeutete…

Man hätte auf dieser Vorgabe locker eine frivole Blödel-Komödie drehen können, doch darum geht es Philippe Le Guay nicht. Vielmehr ergründet er in Normandie nue eingehend das Funktionieren einer bunt gemischten Dorfgemeinschaft, die in der Not zusammensteht, deren Mitglieder gleichzeitig aber auch immer in Konkurrenz zueinander stehen. Sich unter diesen Bedingungen in aller Öffentlichkeit kollektiv auszuziehen, weckt nicht nur Schamgefühle, sondern kommt geradezu einem Tabubruch gleich – nachgerade in der Normandie, wo, wie es im Film so schön heisst, „der Mensch selbst im Sommer den Pullover anbehält“. Am greifbarsten wird das Problem im Fall des eifersüchtigen Dorfmetzgers, der auf keinen Fall will, dass überhaupt irgendwer seine Frau Gisèle nackt sieht. Der Tonfall von Normandie nue ist bei aller Ernsthaftigkeit humorvoll locker. Nebst bereits Erwähnten treten einzelne Andere in den Vordergrund. Etwa der vor kurzem ins Dorf zurückgekehrte Sohn des Dorffotografen, der das Geschäft seines Vaters auflösen will, oder die aus Paris zugezogene Familie, deren auf dem Land todunglückliche Teenager-Tochter als Erzählerin funktioniert. Weitestgehend getragen allerdings wird Normandie nue von François Cluzet, der als umtriebiger Bürgermeister genauso überzeugt wie als Querschnittgelähmter in Intouchables.

26.03.2024

4

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Kommentare

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Ashton

vor 6 Jahren

Hm, zugegeben, ich hatte mich auf diesen Film gefreut, um endlich einmal wieder Cluzet auf der Leinwand zu sehen. Als Bürgermeister ... Ich erinnere mich an Operation Duval oder auch den Landarzt von Chaussy. Beides Filme, in denen er mir durch sein unaufgeregtes, sensibles Spiel gefiel. Und auch in seinem Aktuellen tut er, was er kann ... Dass die Handlung bisweilen stark an "Asterix und Obelix" erinnert, die dem Feind unerbittlich Widerstand leisten, ist jedoch der einzige "Höhepunkt". Ansonsten plätschert sie dahin: hier der Bürgermeister, der im Kampf um sinkende Preise für Agrarprodukte zu allem bereit ist und dort die störrischen Dorfbewohner, die ihm immer und immer wieder ins Handwerk pfuschen. Und dann ist da noch die Lichtgestalt in Form eines Photographen, der das ganze Dorf in Szene setzen möchte - und zwar nackt. Allerdings erkennt nur der Bürgermeister, dass es sich um den leibhaftigen "Messias" handelt. Die Dorfbewohner trotteln indes in ihrer Routine leicht dumpf dahin. Da werden Streitigkeiten um Ländereien ausgetragen, statt an einem Strick zu ziehen. Dass das letztlich nicht nur den Bürgermeister nervt, der sich - nach geplatztem Deal mit dem "Messias" - erhängen will, sondern schließlich auch den Zuschauer, war wohl so nicht beabsichtigt. Nur leider kommt es dazu.
Kurzum: kein guter Film!Mehr anzeigen

Zuletzt geändert vor 6 Jahren


anne9

vor 6 Jahren

Ein wunderbarer französischer Film mit Tiefgang und mit vielen liebevoll gezeichneten Charakteren und ihren Geschichten untereinander. Viel Charme und französcher Humor.


güx

vor 6 Jahren

Leider fehlt diesem Film fast alles, vor allem Tempo. Man könnte ihn gut und gerne 40 Minuten kürzen, indem man auf diverse unnötige Nebenschauplätze verzichtet. Hinzu kommen fehlender Charme und fast nicht vorhandener Humor (über die Szene im Stall gegen Ende kann ich persönlich nicht lachen). Schade, es wäre eine gute Ausgangslage gewesen mit ebensolcher Besetzung. Ich fand den Film grösstenteils sehr langweilig und bemüht.Mehr anzeigen


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