Cunningham Frankreich, Deutschland, USA 2019 – 92min.
Filmkritik
Der Erneuerer des zeitgenössischen Tanzes
Schon häufiger porträtierte die aus Moskau stammende Regisseurin Alla Kovgan in ihren Kurz- und Dokumentarfilmen Choreografen und Tänzer. In „Cunningham“ dokumentiert sie nun das (berufliche) Wirken des vielleicht grössten Choreografen der Postmoderne: Merce Cunnningham, der 2009 im Alter von 90 Jahren starb.
Mit seinen gewagten, unkonventionellen Methoden, sowie avantgardistischen Ansätzen, revolutionierte Cunningham die Welt des Modern Dance. Dabei wurde er zu Beginn seiner Karriere noch kritisch beäugt. Er sei ein hochbegabter Künstler, der seine Talente jedoch verschwende – so sahen es damals nicht wenige Beobachter. Doch Cunningham setzte sich durch und arbeitete weiter bis zur Perfektion an seinem Stil und der Technik.
„Tanz ist eine visuelle Erfahrung“, lautet ein bekanntes, auch im Film platziertes Zitat Cunninghams. Als solche, auf Ästhetik und optische Wirkung ausgelegte filmische Erfahrung ist ebenso diese stark durchkomponierte Doku konzipiert. Kovgan löst sich von der ersten Minute an von den klassischen Versatzstücken biographischer Dokus und Künstler-Porträts. Gleichsam verzichtet sie auf eine explizit auszumachende Dramaturgie oder einen klaren roten Faden. Der Schwerpunkt liegt stattdessen auf der Präsentation klassischer Cunningham-Choreografien, dargeboten von zwölf seiner Tänzerinnen und -Tänzern, die der Meister noch selbst ausbildete.
Kovgan lässt die Hintergründe mittels moderner 3D- und Green-Screen-Technik oftmals ganz direkt mit den Künstlern verschmelzen. Die einzelne Bewegung, die Choreografie und der Tänzer – sie alle werden eins. Hinzu kommen weitere Effekte und gelungene visuelle Experimente, darunter surreal anmutende Kulissen und phantastische Szenerien. Kovgan beweist ihr Gespür für verträumte, malerische Orte sowie poetische Settings, vor denen sie die beeindruckenden Tänze aufführen lässt: auf Häuserdächern und Theaterbühnen, in idyllischen Parkanlagen und in grossen Sälen, deren klare, strenge Architektur und hohe Decken bisweilen an Museumsräume erinnern.
Obwohl sie Cunninghams Privatleben nur am Rande streift und auf aktuelle Interviews komplett verzichtet, erfährt man zwischen den Zeilen dennoch eine ganze Menge. Zum Beispiel über die Briefauszüge, die raren Amateur-Aufnahmen von Proben und Aufführungen der 40er- bis 70er-Jahre, sowie die originalen Interviewschnipsel aus dem Off. Zu hören sind neben Cunningham wichtige Weggefährten, allen voran sein langjähriger beruflicher Partner und Lebensgefährte: der stilprägende Komponist John Cage. Die Aussagen Cunninghams erzeugen das Bild eines perfektionistischen und klug reflektierenden Künstlers, der sich zeitlebens der Vergänglichkeit des wichtigsten Instruments eines Tänzers, seines Körpers, bewusst war. „Ein Instrument, das vom Anbeginn der Geburt im Verfall begriffen ist.“
Dein Film-Rating
Kommentare
Kein Film auf meiner Interessenliste.
War dann der einzige, der in der Nähe lief - und hat sich doch gelohnt:
Gute Mischung neuer Bilder und dokumentarischer Aufnahmen,
ästhetisch überraschende Aufnahmen,
ein Zeitdokument und sozusagen ein Update in einem.
Einzig für Leute, die noch nie eine Choreographie von Cunningham gesehen haben, wär mal ein längerer Ausschnitt, der mehr als ein Zitat gewesen wäre, hilfreich gwesen...… Mehr anzeigen
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