Filmkritik
Die Geister der Vergangenheit
Nach einem unerwarteten Trauerfall ändert sich für Marcela die Sicht auf das Leben. Ihre zwischenmenschlichen Beziehungen erscheinen ihr brüchig und fremd. Das surreale, besonnen inszenierte Drama Familia Sumergida zeigt eine Frau bei der Verarbeitung dieses schweren Verlusts.
Als Rina stirbt, ist für ihre Schwester Marcela (Mercedes Morán) nichts mehr wie zuvor. Sie zieht sich in ihre eigene Welt zurück. Die Erinnerungen an andere Familienmitglieder und vor allem an Rina werden wach, als Marcela die Wohnung ihrer Schwester auflöst. Kleidung, Möbel, Fotos und Briefe – überall Erinnerungen. Zu allem Überfluss wird kurz darauf auch noch Marcelas Gefühlswelt durcheinandergewirbelt, als sie Nacho (Esteban Bigliardi) kennenlernt, ein Bekannter ihrer Tochter.
Für ihren ersten Langfilm konnte Regisseurin Maria Alché mit Mercedes Morán eine der populärsten argentinischen Schauspielerinnen gewinnen. Seit fast 20 Jahren spielt sie in heimischen TV- und Kinofilmen, zuvor sah man sie vor allem in Fernsehserien. Alché, die in Buenos Aires Regie studierte, ist daneben als Fotografin und Autorin tätig. Familia Sumergida feierte 2018 auf dem Filmfest Locarno Premiere.
Es ist nicht zu übersehen, dass sich Alché vom magischen Realismus vieler lateinamerikanischer Filme der 80er- und 90er-Jahre inspirieren liess. Filme, in denen Realismus und Phantasie unmittelbar aufeinandertreffen. Die surrealistischen Elemente zeigen sich in den Szenen, in denen Marcela auf die „Geister der Vergangenheit“ trifft. Es sind die stärksten, atmosphärischsten Momente im Film, wenn Marcela plötzlich am Tisch mit der Tante, dem Onkel oder der Oma sitzt – alle vor Jahren verstorben. Hier verleiht Alché ihrem Film etwas Unheil- und zutiefst Geheimnisvolles.
Und sie geht noch einen Schritt weiter. Sie verbindet diese Phantasmen auf organische Weise mit den „realistischen“ Anteilen. Heisst: Die Szenen aus der „Geisterwelt“ und die der Filmhandlung gestaltet sie ohne klaren Übergang. Was den Betrachter durchaus herausfordert und zum exakten, konzentrierten Beobachten verpflichtet. Nicht zuletzt, da viele Szenen des kammerspielartigen Werks dunkel und etwas trüb gehalten sind. Kein Wunder, legt Alché doch grossen Wert auf natürlichen Lichteinfall. Die schwach ausgeleuchtete Szenerie passt in gewisser Weise aber zum Uneindeutigen und Rätselhaften der Ereignisse.
Ausserdem ist Alché der Musikeinsatz sehr wichtig, manchmal zu wichtig: Hier und da ist die musikalische Untermalung einzelner Szenen zu dominant und lenkt vom Geschehen auf der Leinwand ab. Bedächtig und mit Geduld fängt sie hingegen das vielschichtige Emotionsleben ihrer unbeugsamen, bestimmt auftretenden Protagonistin ein, die von Mercedes Morán präzise und hingebungsvoll dargestellt wird.
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