CH.FILM

Jagdzeit Schweiz 2019 – 91min.

Filmkritik

Bis dass der Tod euch scheidet

Irene Genhart
Filmkritik: Irene Genhart

In Sabine Boss‘ knallhartem Wirtschaftsdrama schenken sich die Protagonisten nichts, bis alle alles verloren haben.

Er ist ein Perfektionist, dieser Alexander Maier, seines Zeichens Finanzchef des (fiktiven) Schweizer Automobilzulieferers Walser und, wie man so schön sagt, die Zuverlässigkeit in Person. Zumindest was die Arbeit betrifft, denn die geht bei Maier immer vor. Das mag mit ein Grund sein, dass seine Frau und sein Sohn ihn verlassen haben, insgeheim allerdings hofft Maier, dass die beiden zu ihm zurückkehren.

Doch dann platzt der deutsche Topmanager Werner Brockmann in sein Leben. Der steht im Ruf eines so knallharten wie erfolgreichen „Turnaround-Managers“ und soll als CEO die jüngst ins Schlingern geratene Firma Walser wieder auf Kurs bringen. Alsbald beginnt er den Laden von Grund auf umzustellen. Maier, rechtschaffen, brav und vielleicht eine Spur naiv, lässt sich von ihm vorerst willig einspannen. Doch je länger Brockmann waltet, desto suspekter wird er Maier. Die vermeintliche Kollegialität schlägt in einen zunehmend erbitterten Machtkampf um, der seine Spitze erreicht, als ein Grossinvestor unverhofft abspringt, der geplante Börsengang platzt und Brockmann die Schuld daran Maier in die Schuhe schiebt. Das stürzt den durch seinen familiären Konflikt und die angespannte Stimmung im Betrieb physisch und psychisch bereits stark belasteten Maier derart tief in die Krise, dass er daraus keine Rettung mehr findet.

Zappenduster und gnadenlos unbeschönigt hat Sabine Boss (Der Goalie bin ig) ihr Managerdrama inszeniert und entwirft darin von den subalternen Angestellten in ihren nüchternen Büros bis zur Führungselite auf der verglasten Teppichetage realitätsnah das faszinierende Porträt eines heutigen Schweizer Industriebetriebs. Ulrich Tukur (Und wer nimmt den Hund?) spielt Brockmann mit energischer Verve, die Rolle Maiers gehört dem in seinem spröd zurückhaltenden Spiel überzeugenden Stefan Kurt, der hier eine seiner grössten Rollen spielt.

Jagdzeit, heisst es im Film, beruhe auf realen Ereignissen; gemeint ist eine Reihe von Suiziden in Schweizer Managerkreisen in der ersten Hälfte der 2010er-Jahre. Boss hat die verschiedenen Fälle zu einer Geschichte verdichtet, dass die Zuschauer sich dabei an einzelne Fälle konkret erinnern, dürfte nicht unbedingt ihre Absicht gewesen sein und trägt zur Sache nichts bei. Jagdzeit ist ein packendes und zugleich nachdenklich stimmendes Drama, das mit geschärftem Blick das gnadenlose System der heutigen Leistungsgesellschaft hinterfragt.

14.02.2020

4

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Kommentare

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seltzer

vor 4 Jahren

Ein Thema, das man sich in dieser Zeit eigentlich nicht zumuten möchte. Aber der Film packt und entwickelt einen unheimlichen Sog.


Filmenthusiast

vor 4 Jahren

Wirtschaft-/Arbeitsweltfilm, deshalb zuerst spannend, weils nicht viele davon gibt. Leider hält der Titel (und der Filmtrailer) nicht, was sie versprechen. Habe mir die zweite Hälfte deutlich anderst vorgestellt. Die Sache mit dem japanischen Ehrenkodex wurde zunehmend skuriler und wirkte nicht authentisch, kein bisschen, und dementsprechend war das Ende des Films sehr enttäuschend.Mehr anzeigen

Zuletzt geändert vor 4 Jahren


peter-ramseier

vor 4 Jahren

Einer der besten Schweizerfilme! Spannend erzählt mit überzeugenden Schauspielern und einem herausragenden Stefan Kurt.


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