Corpus Christi Polen 2019 – 115min.
Filmkritik
Glaubensweg
Der polnische Regisseur Jan Komasa präsentiert mit Corpus Christi ein Drama um einen ehemaligen Jugendstraftäter, der nach einer spirituellen Wandlung eine tief konservative Kirchengemeinde als deren Pfarrer auf den Kopf stellt.
Bartosz Bielenia spielt im Drama Corpus Christi Daniel, einen jugendlichen Straftäter, der aufgrund eines begangenen Mordes in einer polnischen Jugendstrafanstalt seine Haftstrafe absitzt. Während seiner Zeit in der Anstalt ist er einerseits Teil von Gewaltaktionen gegen Mithäftlinge und besucht andererseits regelmässig den Haft-internen Gottesdienst, wo er seinen christlichen Glauben entdeckt. In ihm keimt der Wunsch auf, Priester zu werden, was ihm jedoch durch den begangenen Mord verwehrt bleiben würde.
Kurz vor seinem 21. Geburtstag wird er aus der Haft entlassen und gibt sich in einem nahegelegenen Dorf als Priester aus, statt sich im Zuge einer Wiedereingliederung im Sägewerk des Dorfes als Arbeiter zu melden. Die vorerst skeptischen und sehr konservativen Dorfbewohner gewinnt er mit der Zeit für sich, bis er sich vermehrt mit einem dramatischen Ereignis in der Dorfgeschichte auseinandersetzt und zusätzlich durch eine nicht vorhergesehene Begegnung in Bedrängnis gerät.
So verrückt es auch klingen mag, Corpus Christi geht auf wahre Begebenheiten zurück. Der Drehbuchautor und Journalist Mateusz Pacewicz veröffentlichte 2011 die Geschichte von Patryk Błędowski, der mit seinen Machenschaften in Polen für Schlagzeilen sorgte: Der damals 19 Jahre junge Mann gab sich für drei Monate unerkannt als Priester aus. Inspiriert von dieser Story machte sich Mateusz Pacewicz ans Drehbuch für Corpus Christi.
Der Film baut auf den wahren Ereignissen der Geschichte rund um den falschen Priester auf und reichert diese mit fiktiven Elementen an. So haben zum Beispiel die Geschehnisse in der Jugendstrafanstalt und die Tragödie, die das Dorf heimgesucht hat, nicht stattgefunden. Die Vergangenheit von Daniel (Bartosz Bielenia) dient Corpus Christi als Inspiration für eine erstaunliche Coming-of-Age-Geschichte, in der es nicht nur um die Selbstfindung eines jungen Mannes geht, sondern auch um seine Zukunft, die man ihm verwehrte.
Corpus Christi zeigt schön, wie sich die polnische Gesellschaft nach dem Zusammenbruch des Kommunismus immer mehr von der Kirche abwendet. Das Land und auch die Gesellschaft ist zweigeteilt: Während bei den einen die Religion noch den Alltag bestimmt und jegliche Veränderungen auf Ablehnung stossen, herrscht bei der Jugend Orientierungslosigkeit und Langeweile, die Teenager wissen nicht wohin mit ihrer Zeit.
Bartosz Bielenia spielt Daniel sehr überzeugend: Seine aussagekräftige Performance macht es dem Zuschauer möglich, die Emotionen mit seiner Figur zu durchleben und sich mit ihr zu identifizieren – eine Tatsache, die durch viele Grossaufnahmen seines Gesichts noch verstärkt werden.
Die Kamera bleibt bis auf die mit einer Handkamera gedrehte Anfangs- und Schlusssequenz völlig unbewegt und demonstriert so bildlich eindrücklich, wie die Figuren in ihrer Lebenswelt gefangen sind; die Atmosphäre ist weitestgehend bedrückend. Die Szenen im Gefängnis hingegen bilden durch die bewegten Einstellungen einen Kontrast zur ansonsten starren Kulisse. Gepaart mit überzeugenden schauspielerischen Leistungen und einem durchdachten Plot hat sich Corpus Christi in Polen absolut zu Recht zum Arthouse-Hit von 2019 gemausert.
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Kommentare
Ein Häftling darf nicht Priester werden, tut es aber doch in Verkleidung und wird zu einem model priest in einem kleinen polnischen Dorf.
Diese wahre Begebenheit kann man als Parabel interpretieren. Sie belegt wie tief der katholische Glaube in der Bevölkerung verwurzelt ist. So tief, dass ein Betrüger Daniel (Bartosz Bielenia) als Wolf im Schafspelz zunächst leicht davonkommen kann und kritiklos akzeptiert wird. Und er ist kein unbeschriebenes Blatt. Er saß im Gefängnis und ist wohl eher einer jener Typen, die erst zuschlagen, dann fragen.
Als Aufmacher im Jugendknast sieht man eine Gruppenvergewaltigung, später besucht Daniel eine Psychologiestudentin, die sich mit Sex etwas dazuverdient. Er gesteht vorher ‘Ich bin Priester.‘ Antwort ‘Ich Nonne.‘
Daniel predigt volksnah, so wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Das beeindruckt die Dörfler. Er nimmt die Beichte ab. Einzelne erkennen ihn vom Knast, andere von kirchlichen Feiern. Der Knastpfarrer verprügelt ihn und jagt Daniel davon, zurück ins Gefängnis. Hier trifft er auf seinen ehemaligen Feind und schlägt ihn fast tot.
Wie die zwei Brennpunkte in einer Ellipse stehen die zwei Gewalttaten im Fokus der Handlung. Will Regisseur Jan Komaza demonstrieren, dass ein Mensch sowohl zu einem Mörder als auch zu einem Heiligen veranlagt ist. Oder ist die Soutane nur Schutz bzw. Köder als Kostüm und dass man mit dem Glauben der Gläubigen ein leichtfertiges Spiel treibt?
Eine ganz andere Lesart des Problems Talar könnte der Hinweis sein ’Priester sind Mörder‘. Daniel ist beides. Zumindest hat er Probleme mit der Sexualität. Und das Verhältnis zwischen ihm und Martha (Eliza Rycembel) ist fast schon eine lustvolle Beziehung. Egal welcher Interpretation man Glauben schenkt, beeindruckt ist man von diesem Drama und seinen mehrdeutigen Interpretationen allemal.… Mehr anzeigen
Immerhin hat und weiss der junge Mann was zu sagen. Denn sonst wäre 'Priester spielen' nicht mehr als 'Messe lesen'. Als 'Leib Christi' kommt bildhaft stark rüber, verletzliche Nacktheit versus äusserer klerikaler (Ver-)Kleidung.
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