Ouistreham Frankreich 2020 – 107min.
Filmkritik
Prekäre Arbeit statt Bücher schreiben
Marianne Winckler (Juliette Binoche) geht mit einem dürftigen Lebenslauf zu einem Vorstellungsgespräch. Sie hofft, als Hausdame zu arbeiten, doch hinter der Fassade einer arbeitslosen Frau verbirgt sich eine Autorin, die über das Leben der «Unsichtbaren» in der Gesellschaft berichten will. Ein Durchbruch in Form einer sozialen Chronik, in der sich leidende Seelen treffen und sich gegenseitig helfen, die Gegenwart zu überwinden.
Emmanuel Carrère, der seinen Kampf gegen Depression in einem Buch mit dem Titel «Yoga» beschrieben hat, adaptiert nun das Buch «Le Quai de Ouistreham» von Florence Aubenas. Nach einem Auftakt, der ein wenig an Ken Loachs «Ich, Daniel Blake» erinnert, wird der Film zu einer Art Trickfilm, der das soziale Drama zugunsten eines Spiels der Illusion aufgibt. Der Betrug von Marianne Winckler, solide gespielt von Juliette Binoche und umgeben von einer unprofessionellen Besetzung, steht auf dem Spiel. Angesichts der Gefahr, ihre neuen Freunde zu enttäuschen, hält die Autorin an ihrem Buch fest. Und sie zieht es vor, an ihrem Porträt einer Frau (Christèle) festzuhalten, die sie zum Hauptthema macht. Es ist eine gefährliche Navigation zwischen Realität und Fiktion, die sich unweigerlich gegen Marianne wenden wird.
«Ouistreham» skizziert die Lüge als Mittel des Schreibens in dieser bewegenden, thematisch und inszenatorisch präzisen Recherche. Eine Geschichte der Menschlichkeit. Aber vor allem eine Geschichte, um diese Frauen zu verstehen. Die, die Toiletten mit dem Schmutz auf ihren Handschuhen putzen. Marianne geht von einem guten Gefühl aus, aber sie setzt sich dem Zorn dieser Arbeiterinnen aus, die um eines Buches wegen betrogen worden sind. Eine Untersuchung, die auch die Verachtung der Personalverantwortlichen gegenüber diesen Frauen aufzeigt.
Dieses kämpferische und nüchternes Werk, das an die Arbeiten von Stéphane Brizé erinnert, lässt den Betrachter die schrecklichen Bedingungen dieser Wartungsarbeiter erahnen. Frühe Morgenstunden, ein unglamouröser Arbeitsplatz, eine anstrengende körperliche Tätigkeit und unnachgiebige Chefs. Wir sind nicht weit von einem militärischen Umfeld entfernt.
Carrère wendet das Reale ungekünstelt und ohne Fantasieeffekte an, indem er eine Wahrheit der belastenden Arbeit dieser «Unsichtbaren» darstellt.
Übersetzung aus dem Französischen von Sven Papaux durch Alejandro Manjon.
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