The French Dispatch Deutschland, USA 2020 – 108min.

Filmkritik

Ein Film wie ein Wimmelbuch

Filmkritik: Teresa Vena

Rund um den Herausgeber Arthur Howitzer hat sich ein Kreis von Auslandamerikanern gebildet, die für den französischen Ableger einer US-Zeitschrift arbeitet. Sie verfassen umfangreiche, unkonventionelle Berichte, die weniger für eine echte Leserschaft gedacht sind, sondern mehr dem Selbstzweck dienen. Auch in seinem neuen Film bleibt Wes Anderson seiner farbenfrohen, kulissenhaften Ästhetik treu, die er hierfür noch mehr ins Comic-hafte und Fantastische treibt.

Arthur Howitzer Jr (Bill Murray) ist der Herausgeber des europäischen Ablegers einer US-amerikanischen Zeitschrift mit dem Titel The French Dispatch. Im fiktiven französischen Örtchen Ennui-sur-Blasé, das so viel wie «Langeweile bei Blasiert» heisst, hat er eine Gruppe Auslandamerikaner um sich vereinigt, die auf eher unkonventionelle Weise über verschiedene Kulturthemen wie Tourismus, Kunst oder Gastronomie berichten sollen. Howitzers, zugegebenermassen halbherzige, Versuche, die Artikel in Bezug auf Länge oder Spesen im Rahmen zu halten, werden von seinen Mitarbeitern ignoriert. So ziehen sich die Recherchen der Kunstredakteurin J.K.L Berenson (Tilda Swinton) über einen genialen, genauso wie verrückten Maler (Benicio del Toro), der im Hochsicherheitstrakt eines Gefängnisses lebt, und seine Muse sowie Wärterin (Lea Séydoux) ewig hin. Das Gleiche gilt für die Recherchen von Lucinda Krementz (Frances McDormand) zu den vom selbstverliebten Zeffirelli (Timothée Chalamet) angeführten Studentenrevolten von Paris, die in eine Affäre der beiden ausufert. Viele Windungen nimmt auch das Porträt des viel gerühmten Chefkochs Nescaffier (Stephen Park), das Roebuck Wright (Jeffrey Wright) zum Entführungsfall umschreibt.

Erneut begibt sich Wes Anderson in The French Dispatch in eine von ihm erfundene, märchenhafte und fantastische Welt, die von Pastellfarben geprägt ist und in der sich die Menschen, wie Marionetten oder Clowns bewegen und verhalten. Die Zeichnung der Schauplätze wirkt noch kulissenhafter, als es bereits in Grand Budapest Hotel der Fall war. Wie in einem überdimensionierten Wimmelbild agiert nicht nur ein mehr als umfangreiches Schauspielerensembles, in dem faktisch jeder grössere Namen aus Hollywood von Jason Schwartzman, Adrien Brody, Christoph Waltz über Edward Norton bis Willem Dafoe und zusätzlich Cécile de France und Mathieu Almaric vertreten sind, sondern überlagert sich Detail über Detail, dass einem nach wenigen Minuten bereis der Kopf schwirrt. Schriftzüge auf Französisch mit ihrer englischen Übersetzung, grafische Spielereien, die an die Aufmachung einer Zeitschrift erinnern und wild über die ganze Leinwand verteilt sind, sowie ein immer dichter werdender Schwall an amüsanten Sketchs mit entsprechenden wortreichen Pointen ergiessen sich förmlich über den Zuschauer.

Hier wäre «weniger ist mehr» definitiv angebracht gewesen. Diese Fülle an Eindrücken führt dazu, dass man sich entscheiden muss, ob man sich auf die Bild- oder Sprachebene konzentrieren möchte und damit zwangsläufig einen Teil des Films vernachlässigen muss. Aus diesem Grund eignet sich The French Dispatch zwar dazu, mehrfach gesehen zu werden, doch provoziert der Film trotzdem ein Gefühl der Frustration. Diese masslose Reizüberflutung macht Andersons Werk elitistisch und prätentiös, für die Verarbeitung der „überintellektuellen“ Witze bleibt keine Zeit, was den Zugang zum Film teils versperrt.

Gedacht ist The French Dispatch als Hommage an Journalisten des Kalibers von Harold Ross, dem Herausgeber von The New Yorker - auch die grafische Gestaltung ist an die dieser Zeitschrift angelehnt. Doch hängt Anderson einer derart verklärten Vorstellung der Künstlerbohème und des Künstlers als verkanntes Genie nach, die, positiv ausgedrückt, kindlich-naiv oder, kritisch gesagt, eher peinlich ist. Das gilt im übrigen genauso für sein Frankreichbild.



Cineman-Filmkritiker Patrick Heidmann:

Ein genialer Maler im Gefängnis, ein Studenten-Paar mit revolutionären Absichten, ein in einen Entführungsfall verwickelter Restaurantkritiker – Wes Anderson erzählt in seinem neuen Film nicht eine, sondern viele kleine Geschichten. Alle angesiedelt im fiktiven französischen Nachkriegs-Städtchen Ennui-sur-Blasé, wo das titelgebende Magazin von US-Journalisten herausgegeben wird. Dieses Sammelsurium aus schrägen Figuren und Ideen überzeugt mit tollem Ensemble und bis ins Detail durchkomponierten Bildern, bietet aber doch mehr Stil als Substanz. Oder gar Herz.

18.10.2021

2

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Kommentare

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Annemarie.Ulrich

vor 2 Jahren

Zu wild, ein Wimmelbuch, aber gute Schauspieler!


Waldwesen

vor 3 Jahren

Einmaliger Film mit abstrakten, bildnerisch ziemlich kreativen Szenerien und Techniken,
ja beinahe schon Bühnenbild und gefühlter
US-amerikanischer Sehnsucht nach europäisch intellektuellem Humor à la "Monty Python".

Für mich zieht sich der Film etwas in die Länge, gewinnt mit der Zeit doch etwas an Spannung.

Ich denke, entweder man mag den Film oder eben halt gar nicht... kreativ allemal!😊

Ich nehme mal an, die Macher und Beteiligten hatten C. bedingt mehr Zeit, um einen solchen Film zu gestalten und versuchen zu beweisen, dass Hollywood nicht Hollywood sein muss?
Gelingt nur bedingt, falls dies überhaupt Absicht war. 😆Mehr anzeigen


thomasmarkus

vor 3 Jahren

Episodenfilm, theaterhaft, auch das kann Kino - Kulisse theatralisch, Wirklichkeit versch(r)oben...


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