Tre piani Frankreich, Italien 2020 – 120min.

Filmkritik

Ein langes Zusammenspiel von gewöhnlichen Dramen

Filmkritik: Laurine Chiarini

Drei Geschichten, drei Familien, mehrere Schicksale, deren Dramen sich im Laufe von zehn Jahren miteinander verflechten: Nanni Morettis neuester Film basiert auf dem Buch des israelischen Schriftstellers Eshkol Nevo. Der Filmemacher erkundet die Bande der Familie, der Freundschaft, der Widerstandsfähigkeit und des Vergehens der Zeit.

In den ersten Minuten des bewegenden Films «Das Zimmer meines Sohnes» (2001) zieht eine Gruppe von Hare-Krishna-Anhängern singend und tanzend durch die Strassen. Beobachtet werden sie von einem Mann, der nichts von der Tragödie ahnt, die seine Familie ereilen wird. In «Tre Piani» marschiert kurz vorm Schluss ein kleines Orchester die Strasse entlang, gefolgt von Paaren, die sich zu den Klängen eines Tangos bewegen. Die Musik, die im ersten Film ein böses Omen ist, füllt den Raum am Ende des zweiten Films. Sie bietet dabei einen Moment schwebender Verzauberung, wenn die Protagonisten, die für diesen Anlass verstummt sind, die Musik-Band mit Freude vorbeiziehen sehen und sich gegenseitig mit einem Lächeln ansehen. Ein Zeichen für eine abgeschlossene Vergangenheit und den Beginn einer neuen Zukunft, von der wir annehmen, dass sie friedlicher sein wird.

Ob es sich um seine eigene Geschichte (Caro Diario), um fiktive Figuren oder historische Ereignisse handelt, Moretti ist ein fähiger Geschichtenerzähler. Wie ein Millefeuille aufgebaut, überlagern sich in «Tre Piani» die Tragödien. Sie beginnt mit einer Familie, deren Eltern (Margherita Buy und Moretti selbst), beide Richter, mit rasender Hilflosigkeit zusehen muss, wie ihr Sohn einen Fehler nach dem anderen begeht, bis er sich schliesslich völlig abnabelt. Im Erdgeschoss verdächtigt ein Vater den ehemaligen Nachbarn, seine Tochter missbraucht zu haben. Im dritten Stock ist eine junge Mutter verzweifelt allein mit ihrem neugeborenen Baby, während ihr Mann monatelang auf Geschäftsreise ist. Bei dem Versuch, so viele Geschichten zu erzählen, führt die Anhäufung zu einer gewissen Sättigung der Erzählung. Sie hätte an Leichtigkeit gewinnen können, wenn der Film literarisch besser angepasst worden wäre.

Was der Film im Wesentlichen hervorhebt, ist die perfekte Fehlerhaftigkeit der menschlichen Natur. Eins nach dem anderen wird das Erreichte untergraben. Nein, Blutsbande und eine scheinbar strenge, aber gerechte Erziehung reichen nicht aus, um aus einem Kind einen erfüllten Erwachsenen zu machen. Der sechste Sinn des Vaters (Ricardo Scamarcio), der davon überzeugt ist, dass er in der Nacht, in der seine Tochter mit ihrem ehemaligen Nachbarn in den Wald ging und das letzte Wort noch nicht gesprochen ist, liegt völlig falsch. Die Frauen sind diejenigen, die den Haushalt zusammenhalten, aber sie werden nicht verschont: Die junge Mutter (Alba Rohrwacher), die von einer erblichen Mutterkrankheit betroffen zu sein scheint, beginnt nach der Geburt ihres zweiten Kindes, sich unberechenbar zu verhalten.

Auch wenn die Belastbarkeit nicht offensichtlich ist, kann der Lauf der Zeit, kein Licht ins Dunkle bringen, so jedoch die Anfänge einer Besänftigung verursachen. Die doppelte Ellipse von zweimal fünf Jahren ist also nicht umsonst: Das Leben geht weiter und bringt seinen Teil an Schmerz mit sich. Aber auch an Entdeckungen für die Jüngsten und an Begegnungen für die anderen, mangelt es nicht . Die Intensität des Geschehens oder die Gewalttätigkeit zuweilen wird von einer scheinbar ruhigen Montage begleitet, die den roten Faden einer Geschichte entfaltet. Die Dilemmata, Reue und Versuche, den Lauf des Lebens zu korrigieren, prallen aufeinander.

Auch wenn die aussergewöhnlichen Umstände es manchmal schwierig machen, sich mit dem Film zu identifizieren, wird doch jeder von uns in dem Kampf eines Protagonisten oder in den Problemen, die einen anderen bedrängen, ein Stück seiner eigenen Existenz wiederfinden.

Übersetzung aus dem Französischen von Laurine Chiarini durch Alejandro Manjon

21.01.2022

3.5

Dein Film-Rating

Kommentare

Sie müssen sich zuerst einloggen um Kommentare zu verfassen.

Login & Registrierung

heinersenn

vor 2 Jahren

Sehr feine Darstellung feiner Beziehungen. Ausklammerung roher Gewalt und katastrophaler Bedrohung. Schöne Bilder.


Annemarie.Ulrich

vor 2 Jahren

Far too much drama!


Mehr Filmkritiken

Gladiator II

Red One - Alarmstufe Weihnachten

Venom: The Last Dance

Typisch Emil