1976 Argentinien, Chile, Katar 2022 – 95min.

Filmkritik

Leben in der Diktatur

Peter Osteried
Filmkritik: Peter Osteried

«1976» erzählt von dem Jahr, in dem in Chile der Militärputsch stattfand. Regie führte Manuela Martelli, die mit dem Film auch dem Schicksal ihrer Grossmutter nachspüren will, die in jenem Jahr starb. Sie fand später Super-8-Filmaufnahmen, die ihre Grossmutter machte, und fragte sich, was sich sonst in diesem Jahr in ihrem Leben abspielte.

Im Winter 1976, drei Jahre, nachdem Augusto Pinochet durch einen Putsch zum Staatschef Chiles wurde und eine Militärdiktatur errichtet hat, fährt die 50-jährige Hausfrau Carmen in ihr Sommerhaus, um dort Renovierungsarbeiten zu überwachen. Dort wird sie von Padre Sanchez angesprochen und gebeten, ihm bei der Pflege eines jungen Mannes namens Elias zu helfen. Er gehört dem Widerstand an, wurde verwundet und braucht nun eine Zuflucht. Carmen hat medizinische Vorkenntnisse und stimmt zu, zu helfen. Aber wie sehr bringt sie dadurch ihre Familie und auch sich selbst in Gefahr?

«1976» ist ein eher stiller, zurückhaltender Film. Vielleicht etwas zu still, und etwas zu wenig bedrückend, denn man sollte eigentlich schon spüren, wie das Leben unter der Militärdiktatur sich verändert hat. Aber auch das wird viel zu subtil gehalten. Entsprechend ist die Gefahr, in die sich die Hauptfigur gibt, auch immer nur zu erahnen, aber nicht wirklich zu spüren. Dennoch: Die Geschichte ist interessant, auch und gerade, weil sie historisch in eine Zeit und ein Land führt, über die viele wohl nicht viel wissen. Aber der Film hat leider auch ein Problem. Er fühlt sich unzusammenhängend an. Immer wieder gibt es Szenen, die etwas aufzubauen scheinen, nur um dann gänzlich fallengelassen zu werden.

«1976» wirkt, als würden Teile des Films fehlen. Das mag eine bewusste Entscheidung von Filmemacherin Manuela Martelli gewesen sein, weil es den Zuschauer spüren lässt, welche Lücken sie selbst in Hinblick auf das Leben ihrer Grossmutter hat, aber es ist narrativ gefährlich, weil man droht, das Interesse des Publikums zu verlieren. Ein Stückweit ist das hier auch so. Das Ende sollte eigentlich eine Form von Erkenntnis bringen, es wirkt jedoch nicht so, wie es wohl beabsichtigt war. Das macht «1976» zu einem bemühten Film, der nie sein durchaus vorhandenes Potenzial ausschöpft.

03.02.2023

3

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Kommentare

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Yvo Wueest

vor einem Jahr

Die Protagonistin Carmen hat es sich in ihrem bürgerlichen Milieu - und innerhalb der überschaubaren Möglichkeiten, die das dominierenden Patriarchat Frauen wie ihr gerade noch offenlässt - gemütlich eingerichtet. Wir Zuschauenden verfolgen gebannt, wie es ihr und den anderen Frauenfiguren, angedeutet mit wenigen Telefonaten und zunehmend besorgteren Blicken, langsam schwant, dass sich der "Retter" Pinochet und seine Schergen gerade anschicken, einen Albtraum gegen die Menschen, die sich in Chile für soziale Verbesserungen engagieren, und wer es wagt, sich mit ihnen zu solidarisieren, auszurollen.
Die Filmmusik ist präsent und hat das Potential, abzulenken. Bei einer zweiten Schau könnte die sehenswerte Charakterstudie gut auch mit einfachen Ohrenstöpseln verfolgt werden.Mehr anzeigen


Filmenthusiast

vor einem Jahr

War spannend und interessant. Mein erster Film über die Pinochet-Zeit in Argentinien. Meiner Meinung nach hätte man die sehr beklemmenden Psychoklänge ruhig weglassen können. Ich denke es jedem auch so klar, dass die Zeit unter einem Militärdiktator sehr schwierig und beklemmend war - auch ohne diese - voll auf die Gefühlspedale drückende - dissoziative Psychomusik. Mehr Subtilität wäre besser gewesen.Mehr anzeigen


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