Aftersun Türkei, Grossbritannien, USA 2022 – 102min.

Filmkritik

Das geheimnisvolle Nachglühen der Erinnerung

Irene Genhart
Filmkritik: Irene Genhart

Die Schottin Charlotte Wells schildert in ihrem Langfilmdebüt mit viel Fingerspitzengefühl, wie eine gut funktionierende Beziehung zwischen einem Mann und seiner elfjährigen Tochter auseinanderzudriften beginnt. Das Coming-of-Age-Drama überrascht durch eine subtile Beiläufigkeit der Erzählung, in die sich zunehmend irritierende Momente einbauen.

20 Jahre nachdem sie mit ihrem Vater Urlaub in der Türkei machte, schaut Sophie Filme an, die sie damals mit ihrer Digitalkamera schoss. Sie zeigen belanglose Aufnahmen aus unbeschwerten Tagen: kurze Ausflüge, am Swimmingpool verdöste Nachmittage, Restaurantbesuche. Vater und Tochter verstehen sich; selbst die vorpubertären Zickereien der Elfjährigen steckt Calum locker weg. Doch während Sophie in kurzer Zeit heranreift und eigenständiger wird, bricht Calum immer mehr der Boden unter den Füssen weg.

Eine Frau Anfang dreissig, sie hat eine Lebenspartnerin und ein Kind, erinnert sich an einen Urlaub mit ihrem Vater. Sie war damals elf und reiste mit ihm für eine Woche in die Türkei. Er schenkte ihr zum Ferienanfang eine Videokamera. Sie filmte, was ihr vor die Linse kam, darunter auch Bedeutungsloses.

Dennoch bilden diese Aufnahmen aus den 1990er-Jahren den Kern dieses Films; assoziative Gedanken der (erwachsenen) Sophie und die splitterhafte gezeigte Gegenwart ergänzen diesen. Erzählt wird von Sophies Abschied von der Kindheit, der sich unmittelbar mit der Trennungsgeschichte ihrer Eltern überlagert. Da spätere Aufnahmen nur Sophie, nicht aber ihren Vater zeigen, bleibt sein Schicksal wie vieles andere in diesem Film rätselhaft.

Paul Mescal und Frankie Corio spielen Vater und Tochter sehr natürlich und in der stillen Melancholie, die sie umgibt, auch ergreifend. Ebenso sehr wie ein berührendes Coming-of-Age-Movie ist Charlotte Wells Spielfilm-Erstling auch eine kluge Reflexion über mediales Sich-Erinnern.

23.02.2023

4

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Kommentare

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Filmenthusiast

vor einem Jahr

Auch dieser Film ist einzigartig auf seine Art.

Vater-Tochter-Beziehung, feinfühlig, hautnah, symphatisches scottish english, gut investiertes Eintrittsgeld


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