CH.FILM

La Dérive des continents (au sud) Frankreich, Schweiz 2022 – 89min.

Filmkritik

Wenn die Welt näher kommt

Filmkritik: Teresa Vena

Dies ist der dritte Film von Lionel Baiers Tetralogie über Europa. Nach «Comme des voleurs (à l'est)» und «Grosse Wellen», präsentiert der Filmemacher seinen neuen Film: «La Dérive des continents (au sud)», eine sehr merkwürdige Geschichte, in der zwei europäische Staatsoberhäupter ein Flüchtlingslager besuchen wollen.

Es ist nicht abwegig, dass es manchmal einfach einen Aussenstehenden braucht, um mit scharfem Blick über eine bestimmte Sache zu sprechen: In diesem Fall ist es ein Schweizer, der sich mit den Strukturen der Europäischen Union und ihrer Flüchtlingspolitik auseinandersetzt. Lionel Baier untersucht anhand einer fiktiven Geschichte, welche Abhängigkeiten, Missverständnisse, Befindlichkeiten und Bedürfnisse zusammenspielen, wenn es um Migration geht.

Im Mittelpunkt stehen die Vorbereitungen für den Besuch des französischen Präsidenten und der deutschen Bundeskanzlerin in einem Flüchtlingsheim auf Sizilien. Vorausgeschickt werden jeweils die beiden Verantwortlichen für Öffentlichkeitsarbeit. Was sie vor Ort sehen, überzeugt sie nicht: Alles ist viel zu sauber, viel zu funktionierend und der Einwanderer aus Senegal spricht ein viel zu perfektes Französisch. Die Bauruinen hinter dem offiziellen Gelände wirken schon viel «aussagekräftiger».

Auch wenn sich «La dérive des continents (au sud)» mit bitter ernsten Themen beschäftigt, findet er immer wieder zu anrührenden und humorvollen Momenten, die dank eines präzisen Drehbuchs, einem grossen Ideenreichtum und sorgfältiger Darstellung von unterschiedlichen Kulturen herausragend zur Geltung kommen. Das internationale Schauspielerensemble harmoniert wie ein fein abgestimmtes Orchester, jede Figur hat ihre spezifische Eigenschaft und selbst die Nebenrollen sind liebevoll gezeichnet.

Genauso wie die Handlung die Figuren im Film immer wieder vor den Kopf stösst und desillusioniert, sie mit ihren Vorurteilen und Erwartungen konfrontiert, durchlebt das Publikum den Film. Die Dinge sind eben nicht nur schwarz oder weiss. Und einmal mehr beweist Baier, wie wirkungsvoll Komödie sein kann.

30.01.2023

5

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