The Farewell China, USA 2019 – 100min.

Filmkritik

Wahrheit oder Lüge

Irina Blum
Filmkritik: Irina Blum

Lulu Wang hat mit The Farewell über eine chinesische Familie, die der Grossmutter ihre unheilbare Krankheit verschweigt, ihre eigene Geschichte verfilmt – und mit der zutiefst menschlichen Tragikomödie zu Recht einen Überraschungshit gelandet.

Die in New York lebende Billi (Awkwafina) ist zutiefst betrübt, als sie über Umwege von ihren Eltern erfährt, dass ihre in China lebende Grossmutter Nai Nai (Shuzhen Zhao) aufgrund von Krebs in fortgeschrittenem Stadium nur noch wenige Wochen zu leben hat. Aus allen Wolken fällt die hauptsächlich in den USA aufgewachsene junge Frau dann aber, als sie von der Tatsache erfährt, dass die Familie ihrer Grossmutter die Krankheit verschweigen will.

Um einen Grund zu haben, die ganze Familie vor ihrem Tod in China versammeln zu können, heiratet Billis japanischer Cousin dessen Freundin, mit der er seit 3 Monaten zusammen ist. Billi reist auf eigenes Geheiss – ihre Eltern befürchten, sie könnte mit ihrer düsteren Miene das Geheimnis ausplaudern – in die chinesische Stadt, wo sie die ersten sechs Jahre ihres Lebens verbracht hat. Doch so richtig wohl ist ihr nicht beim Gedanken, Teil dieser „guten Lüge“ zu sein…

Lulu Wangs zweiter Spielfilm hat seinen Ursprung als Podcast: Weil kein grosses Studio Interesse an der Story gezeigt hat, veröffentlichte die 36-jährige Amerikanerin mit asiatischen Wurzeln ihre eigene Geschiche zunächst als rund 20-minütige Audiodokumentation. Innerhalb weniger Tage wurde diese von über 4 Millionen Menschen angehört – weshalb dann auch die ersten Produzenten Interesse an der interkulturellen Geschichte zu zeigen begannen. Wang, die seit früher Kindheit in Miami lebt, musste 2013 selbst mit der grossen Lüge leben, ihrer Grossmutter nicht von ihrer unheilbaren Krankheit zu erzählen.

Entsprechend dreht sich ihr Familienportrait, für das sie das Drehbuch geschrieben und zum zweiten Mal Regie geführt hat, um die Frage nach der ethischen Vertretbarkeit dieser Lüge – es prallen dabei eine östliche und westliche Weltsicht aufeinander. Doch auch Themen wie der Abschied von geliebten Menschen, komplizierte Familienkonstellationen und was es heisst, zwei Kulturen gleichzeitig anzugehören finden in The Farewell ihren Platz: Wang erzählt ihre Geschichte – ohne dass den grossen Themen der Tragikomödie zu wenig Raum gegeben würde – feinfühlig, authentisch und über weite Strecken witzig, was die Tragikomödie weit über ein asiatisch-amerikanisches Publikum hinaus nachempfindbar macht.

Dafür sorgt auch der durchs Band ideal besetzte Cast, angeführt von Shuzhen Zhao – ein richtiggehender Glücksgriff ist jedoch Awkwafina. Die Rapperin, die in Nebenrollen in Ocean's 8 und Crazy Rich Asians zum ersten Mal ihr Können als Schauspielerin unter Beweis stellen konnte, ist als Hauptdarstellerin eine echte Entdeckung; ihr gelingt das Changieren zwischen Humor und Trauer mit einer Selbstverständlichkeit, die selten ist – eine Leistung, die mit einer Nomination für den Golden Globe gewürdigt wurde. Gepaart mit einem eingängigen Soundtrack zeigt Wang in kurzweiligen 100 Minuten, dass gute, ehrliche, emotionale Geschichten über die Kulturen hinweg berühren können.

13.01.2020

4.5

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Kommentare

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8martin

vor 3 Jahren

Die Regisseurin Lulu Wong ist durchaus eine Sympathieträgerin doch ihr Film gehört in die Kategorie SchleFaZ. Diese Familiengeschichte über chinesische Auswanderer nach Amerika kommt meistens recht langweilig daher. Ohne Witz und Esprit dehnen sich die dialoglastigen Szenen schier endlos aus. Die Darsteller versprühen mit ihrem stocksteifen Habitus und der anhaltenden Gesichtslähmung den Charme von geschlossenen Eisschranktüren. Die Dialoge strotzen vor Allgemeinplätzen und machen den Plot recht unpersönlich. Dabei ist die Message doch klar: Großmutter hat Krebs im Endstadium und wird wohl nicht mehr lange leben. Alle wissen ist, doch keiner sagt es der alten Dame. Im Abspann erfahren wir dann, dass Oma noch viele Jahre lebt und es ihr gut geht. Das heißt dann wohl: wenn man eine deprimierende Diagnose erhält, sollte man sich keine Sorgen machen, denn vielleicht haben sich ja die Mediziner geirrt oder wir haben hier einen Fall von spontaner Selbstheilung?
Als Grund für dieses Familientreffen muss eine fingierte Hochzeit herhalten. Die Stimmung bei einer Beerdigung ist fröhlicher als hier auf dem Fest. Einziger Einschmeichler ist er Song im Abspann von Mariah Carey ‘Can’t Live Without You.‘ Der versöhnt die Zuschauer nach dem spröden Plot und einem Abschied, wie ihn der Titel verheißt, der keiner ist.Mehr anzeigen


nick74

vor 4 Jahren

Hat mir sehr gut gefallen. Jedoch für 5 Sterne hat es nicht gereicht. Ser Anfang hat mich sofort gepackt, Bilder und Musik sind toll aber je weiter der Film fortschreitet, desto mehr verliert er an Kraft. Alles in allem trotzdem empfehlenswert und ein Film zum Nachdenken und Stoff für angeregte Diskussionen danach, speziell zw. alt und jung.Mehr anzeigen


Barbarum

vor 4 Jahren

Als einer Grossmutter in China noch etwa drei Monate zu leben gegeben werden, wird diese darüber im Dunklen gelassen. Stattdessen kehrt die Familie aus aller Welt zurück, scharrt sich um die Todkranke zur Feier einer vermeintlichen Hochzeit und nimmt dergestalt insgeheim Abschied von ihr. Was die Möglichkeit geboten hätte für konträrste Emotionen, lässt einen, trotz einer sich profilierenden Awkwafina, überraschend kalt. Was daran liegt, dass Drehbuch und Regie einfach Schwächen haben, nur ungenügend gezeichnete Figuren in ungelenke Situationen stellen und die Szenen und Dialoge selten zum Lachen oder Weinen einladen. Da fällt das Mitfühlen schwer.Mehr anzeigen


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