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Cure – The Life of Another Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Schweiz 2014 – 83min.

Filmkritik

Das Leben der Anderen

Urs Arnold
Filmkritik: Urs Arnold

Acht Jahre nach Das Fräulein präsentiert Andrea Štaka amit Cure – The Life of Another ihren zweiten Spielfilm: ein Coming-of-Age-Drama, das in unorthodoxer Manier Entwurzelung und Verdrängung thematisiert.

In den Wäldern um Dubvronik ziehen Eta (Lucia Radulovic) und die aus Zürich angereiste Linda (Sylvie Marinkovic) ziellos herum. Gegenseitig bringen sie sich Schimpfwörter in Schweizerdeutsch und Kroatisch bei. Sie necken sich, fragen sich über Jungs aus. Etwas später wird der Nachmittag unversehens in einer Katastrophe enden, als Linda Eta nach einer Meinungsverschiedenheit über die Klippe schubst.

Zurück in der Stadt zeigt sich Linda gegenüber einer Polizistin geständig. Doch stösst sie weder bei ihr, noch bei Etas Grossmutter auf Gehör. Die Familie übt sich stattdessen in obskurer Pragmatik: Linda wird kurzerhand an die Stelle von Eta gerückt. Nicht nur dies erscheint der 14-jährigen nachvollziehbar befremdlich; auch mit Dubrovnik, immerhin doch die "Perle der Adria", wird sie nicht warm.

"Cure" ist ein zweideutiger Titel. Auf Englisch heisst es Heilung, Kur, auf Kroatisch Zurre ausgesprochen Mädchen oder Gören. Beide Übersetzungen haben hier ihren Sinn: Die zweite offensichtlich, während Andrea Štaka die erste unterschwellig auf ihre Hauptfigur bezieht, die in diesem Film auf eine Gesundung ihrer entwurzelten Seele sinnt.

Genesen will auch dieses Dubrovnik, das sich hier mattfarben und unscheinbar, geradezu entzaubert offenbart. 1993 – in diesem Jahr spielt die Handlung – leckt die Stadt ihre Wunden, die ihr bei der Besetzung während des Krieges beigefügt wurden. Vor diesem Hintergrund scheint das Verhalten der Familie in Tat und Wahrheit stichhaltig; nach dem Verlust des Sohns scheut vor allem die Grossmutter weiteres Leid wie der Teufel das Weihwasser. Da lässt sie lieber von Linda Porträtfotos machen, und klebt diese ins Familienalbum.

Cure – The Life of Another ist ausgesprochen raffiniert darin, die filmische Wirklichkeit immer wieder korrodieren zu lassen. Eta erscheint Linda nach der Tat fast unablässig: Sie warnt sie vor der Einnahme ihres Platzes, der Linda endlich etwas Festigkeit im Leben verspricht. Für den Zuschauer ist dieses Spiel von Existenz und Einbildung reizvoll und herausfordernd, auch dank zwei beachtlich aufspielenden Jungschauspielerinnen.

Gleichwohl trägt sich Cure – The Life of Another entschieden sperrig vor. Nur ein Beispiel dafür ist ein wiederkehrendes Instrumentalstück, das wie Säure die Rezeptoren durchsetzt. Štaka will nicht streicheln, sie will den Zuschauer sich so wenig in ihrem Film wohl fühlen lassen, wie Linda in Dubrovnik. Das ist konsequent und zeugt vom Mut einer grossartigen Autorenfilmerin, wird aber auch die Geduld vieler Betrachter zermürben.

16.04.2024

4

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Kommentare

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janig

vor 10 Jahren

Ein bemerkenswerter schlechter Film - insofern sehenswert, als er tatsächlich paradigmatisch schlecht ist. (Und in diesem Sinne wohl
einen Lehrwert für angehende Drehbuchschreiber, Schauspieler oder
Regisseure haben kann.) Die Hauptfigur spaziert in
stoisch-unbeweglicher, irritiert-verstört-melancholischer Miene durch
ihr Leben, welches der Film in kaum zusammengehaltenen Vignetten
versucht darzustellen (lediglich der Ort: Dubrovnik bietet einen roten
Faden). Es ist fast schon lächerlich anzusehen, dass selbst extreme
Ereignisse - etwa ein durch die Hauptfigur mutmasslich verschuldeter
Tod - kaum Widerhall in den Handlungen bzw. Emotionen der Personen
findet: stoisch, gleichgültig, zombiehaft - nach wie vor -, in
schauspielerischer Laienmanier, wandeln die Schauspieler durch einen
quälerisch langatmigen Film (erstaunlich: bei ein Länge von 83
MInuten). Nur auf eines verstehen sich die Schauspieler ungemein gut:
Blicke, immer wieder Blicke - Blicke von ostentativ leidender
Pseudo-Tiefsinnigkeit. Allenfalls die Filmmusik versucht, etwas
Dramatik in den Film hinein zu bringen - ein Unterfangen allerdings,
welches ebenso lächerlich erscheint, konterkariert die Musik doch
offensichtlich unbeabsichtigt die stoisch, lähmend voranschreitende
Handlung bzw. das Handeln der Schauspieler. Nicht zuletzt lächerlich
ist, dass im Film der Hauptfigur artifiziell-prosaisch-mystisch eine
(mutmasslich) Tote immer wieder erscheint. Dies nicht zuletzt weil sie,
wohl wiederum unbeabsichtigt, geistlos "witzige" Sätze zu sagen hat:
"Ich sage allen, dass du mich umgebracht hast... ". Insgesamt erscheint
der Film, im Zusammenspiel eines inkohärenten, undurchdachten Drehbuchs
(dreier Autoren mit je "ganz dollen" Ideen: was nicht zusammen passt,
wird passend gemacht) mit laienhaften Schauspielerleistungen und einer
stetig am falschen Ort und zur falschen Zeit "dramatischen" Filmmusik,
wie ein stümperhafter Abschlussfilm eines überambitionierten, dabei
grandios gescheiterten Filmhochschulstudenten. - Allerdings, natürlich,
wenn man denn will, lässt sich auch hier noch "Sinn" finden. "Retten"
wir den Film. Letztlich geht es dem Film darum, die Abstumpfung und
Verletzung von Personen, ja die Allgegenwart des Todes - durch
Kriegshandlungen etwa, oder die traumatischen Ereignisse einer
Scheidung - darzustellen. Quälerisch langatmige Stoa, Abstumpfung (ja
selbst armselige Schauspielerleistungen), bekommen so ihren Sinn - und
können sogar von den Zuschauern performativ mitvollzogen werden.
Wahrhaft: Ganz grosse Kunst.Mehr anzeigen


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