Tanguy Frankreich 2001 – 108min.

Filmkritik

French Psycho - Muttersöhnchen der Extraklasse

Benedikt Eppenberger
Filmkritik: Benedikt Eppenberger

Schon die Vorstellung, als Vater und Mutter einen französischen Intellektuellen hochgezogen zu haben, hat etwas Erschreckendes. Dass der Eierkopf mit 28 aber immer noch bei den Eltern wohnt, erweist sich in Etienne Chatiliez’s Komödie "Tanguy" als regelrechte Katastrophe.

Als vor einem Vierteljahrhundert der Schweizer Autorenfilmer Alain Tanner seinen "Jonas, der im Jahr 2000 25 Jahre alt sein wird" drehte, verstand er das als Versprechen. Im Jahr 2000 würde Jonas hoffentlich alles besser gemacht haben als seine Eltern, die schon den 68er Aufbruch nicht so recht mitgekriegt hatten. Man hoffte, Jonas würde 2000 im selbstverwalteten Buchkollektiv die auf Umweltpapier gedruckte kritische Edition der Werke Daniel Cohn-Bendits betreuen und am Ché-Guevara-Gedenktag jungen werktätigen Schweizer Ponieren den Widerstand predigen. Und ganz besonders eines würde diese Generation sein: total selbstständig.

Soweit ist es nicht gekommen. Das mit der Selbstständigkeit erwies sich als Rohrkrepierer, zu sehen an Tanguy Guetz (Eric Berger) der im Jahr 2000 sechsundzwanzig geworden, auch 2002 keine Eile hat seine Chinesisch-Doktorarbeit (Typ:"Das Problem der hermeneutischen Poetik zur Zeit der Han-Dynastie") abzuschliessen, geschweige denn, endlich bei den Eltern auszuziehen. Schuld daran haben nicht zuletzt diese Eltern, vor allem Mama Edith Guetz (Sabine Azema), welche wir kurz nach der Geburt Tanguys selig flöten hören: "Du bist so süss – wenn du nur dein Leben lang bei Mutti wohnen bleiben könntest". Aber auch der Papa (André Dussollier) baut mit am Familienunglück, verwehrt er dem Sohn doch die bezahlte Wohnung an schicker Lage. Das haben sie jetzt von ihrer aufgeschlossen-liberalen Einstellung, Tanguys Eltern, denn der Schmarotzer sieht auch mit 28 keinen vernünftigen Grund, sich aus dem Haushalt seiner Alten zu verabschieden und selbstständig zu werden. Wer wohl würde ihm da die Joghurts ins Kühlfach stellen ...?

Um die Fassade zu wahren, freut sich Mama Guetz demonstrativ über die beständige Gesellschaft ihres "grossen Bébés", doch unter dem Deckel brodelt es bereits kräftig. Als ihr Tanguy eröffnet, nicht wie geplant in Peking einen Job anzunehmen, sondern ein weiteres Jahr zuhause an der Dissertation arbeiten zu wollen, bricht sie zusammen. Neiiiiiin, das darf einfach nicht wahr sein. Jetzt allerdings ist der Moment gekommen, dem Sohn den Krieg zu erklären. Auch Papa findet: es reicht, und so verbünden sich die beiden entnervten Eheleute gegen den eigenen Sohn. Tanguy muss raus. Weil man dennoch aber auf Selbstständigkeit pocht, muss Tanguy dazu gebracht werden, von selbst seine Siebensachen zu packen. Richtig ungemütlich soll’s also werden, in den gemeinsamen vier Wänden, weshalb die Mutter in einem ersten Schritt mutig beschliesst, in Zukunft Tanguys Hemden nicht mehr zu bügeln ...

Wer Etienne Chatiliez von seinen vorangegangenen Kino-Komödien kennt, weiss, dass der ganze Schlamassel jetzt erst richtig beginnt. Mit diabolischer Freude setzte der Regisseur noch in "La vie est un long flueve tranquille", "Tatie Danièlle" und "Le boneur est dans le pré" jeweils die Klemmschrauben ans kleinbürgerliche "Glück" einer scheinbar intakten Familie und drehte daran, bis nichts mehr zu retten war. Dabei leitete den Franzosen nicht etwa das noble Interesse an Aufklärung. Vielmehr fehlten bei Chatiliez fast völlig Worte, die zur Einsicht, ja, Umkehr aufforderten, oder gar auf einen Ausgang aus der Unfreiheit der Welt des Bourgeois wiesen. Es siegte das kleinbürgerliche Ressentiment, und man spürte förmlich die klammheimliche Freude, mit der er jeweils seine Racheengel in "La vie ..." und "Tatie Danièlle" aussandte, um in ihren Gastfamilien für grösstmöglichen Schaden zu sorgen. Das machte massig Spass, und weil es sich Chatiliez nicht nehmen liess, die Parasiten jeweils als strahlende Sieger vom Platz gehen zu lassen, durfte er sich den Orden als Filmanarchist erster Güte zurecht an die Brust heften.

Das war einmal, denn in seinen letzten beiden Filmen outete sich Chatiliez als Propagandist einer spiessigen Variante des Glücks. Und dann sitzen sie da, voilà, entweder in der Provence und stopfen glücklich Gänse wie in "Bonheur ..." oder geniessen wie in "Tanguy" multikulturell korrekt die Gastfreundschaft einer chinesischen Familie. In dieser absehbaren Versöhnlichkeit liegt denn auch der Grund für das Scheitern von "Tanguy", der sich, nach einem läppischen Prozess gegen die Eltern, zur Einsicht ... nein, nicht durchringt, sondern sich öde hineinschickt und damit für Harmonie jenseits des Lustprinzips sorgt. Harmonie aber passt schlecht zum Anti-Programm, mit welchem Chatiliez einmal gross herausgekommen ist. Zwar sind Mutter und Vater Guetz richtige Chatiliez-Knallchargen, die Figur von Tanguy allerdings hat kein Eigenleben. Weder ist sie prolomässig abgeklärt, wie der Junge in "La vie ... ", bösartig, wie die schreckliche Rentnerin "Tatie Danièlle", oder so wunderbar melancholisch resigniert wie Michel Serrault als Toilettendeckel-Fabrikant in "Bonheur ... ". Nein, Tanguy ist ein Mann wie eine Bahnhofsuhr, viel zu real um wahr zu sein, und überall dort anzutreffen, wo das Nichtvorhandensein von Eigenschaften als feine Eigenschaft geschätzt wird. "Tanguy", das ist Franzosen-Kino im Jahr Eins nach "Amélie": so kritisch wie ein Zyschtigs-Club, so spannend wie die Wetterprognosen, so anarchistisch wie TV-total. Und Chatiliez? Ja, Chatiliez ist leider ein gewesener Bürgerschreck.

07.01.2002

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Kommentare

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justicius

vor 13 Jahren

Ist und bleibt ein klasse Film!


pascalkrapf

vor 22 Jahren

schwachsinnige story


irenekarin

vor 22 Jahren

Echt super der Film! Lustig aber mit guten Denkanstössen.


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