Filmkritik
Scheinehe mit Todesfolge
Goldener Berliner Bär 2004 für einen neorealistischen Film aus der deutschen Wirklichkeit, gedreht vom türkischstämmigen Hamburger Fatih Akin: Sein raues Sozial- und Liebesdrama ist ungeschminkt, direkt und schmerzhaft.
Er hat den Kanal voll und das Leben satt. Cahit Tomruk (Birol Ünel), voll wie eine Haubitze, knallt mit seinem Ford frontal gegen eine Betonwand. Vollrausch, Blackout, Absicht? Der desillusionierte 40-jährige Alki überlebt und findet sich in der geschlossenen Abteilung eines Spitals wieder. Hier macht sich die 20-jährige Deutsch-Türkin Sibel (Sibel Kekilli) an den Macho ran - sie hat ihn als Kandidat für eine Scheinehe ausersehen. Ihr eigener kontrollierter Selbstmordversuch sollte nur dazu dienen, den Traditionszwängen ihres Elternhauses zu entkommen. Man will sie verheiraten, doch Sibel will "leben, lieben und ficken - nicht nur einen Mann" und deshalb heiraten. Der türkischstämmige Cahit sperrt sich. Er, der hemmungslose Alkoholiker, hat Skrupel, bespricht sich mit seinem Freund Seref (Güven Kiraç) - und gibt schliesslich nach. Die beiden heiraten, und Sibel lebt ihre Freiheit grenzenlos aus. Partytime! Die Liebhaber wechselt sie fast so schnell wie das T-Shirt.
Doch an Cahit geht das Zweckbündnis, die Ehe mit getrennten Betten, nicht spurlos vorbei. Er verliebt sich in die wilde Ehefrau auf dem Papier, und auch Sibel empfindet mehr für ihn, als sie sich eingestehen will. Doch als das zarte Pflänzlein Liebe aufkeimt, schlägt die Realität zu. Cahit wird von einem Liebhaber Sibels provoziert und schlägt zu - Totschlag und Knast. Und Sibel sucht notgedrungen ihr Heil in Istanbul.
Nicht von ungefähr hiess ein Film von Fatih Akin aus dem Jahr 1998 "Kurz und schmerzlos", für den er den Bronzenen Leoparden von Locarno erhielt. Lang und schmerzhaft ist jetzt die Geschichte der unerfüllten Liebe zwischen Cahit und Sibel, den Aussenseitern zwischen Hamburg und Istanbul. Akins Metier ist das Terrain der Secondos, der Fremden, die beispielsweise in Deutschland heimisch geworden sind. Sein kompromissloser, ungeschönter Stil verklärt weder den deutschen Eckkneipen- noch den türkischen Familienmief. Er ist schmerzhaft direkt, bitter, aber auch witzig.
Akin kennt die Szene und seine Helden und führt seine Schauspieler zum Äussersten. Birol Ünel spielt nicht nur den entwurzelten Macho, er ist es irgendwie auch - mit einem Touch Poesie und verdeckter Sensibilität. Und Sibel Kekilli ist Sibel, die junge Wilde, die irgendwann ihre zügellose Freiheit aufgeben muss. Das geht an einem nicht spurlos vorbei. Auch weil die Schauspielerin Sibel, durch eine Kampagne des Boulevard-Blattes "Bild" ins schlechte Licht gerückt, im wirklichen Leben von ihrer Familie geächtet wurde.
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Kommentare
Gelöschter Nutzer
Verfasst vor 12 Jahren
Ein Film über Aussprache von Sorgen, Gefühlen und Ehrlichkeit.
Gelöschter Nutzer
Verfasst vor 14 Jahren
Auf eine eindrückliche Art und Weise durften wir in der
Vergangenheit erleben - unter anderem mit den Meisterwerken
von Yavuz Turgul wie Eskiya und Gönül Yarasi - was unter
einem sogenannten "stark türkisch angehauchten" Filmdrama
zu verstehen ist. Sprichwörtlich der Atem blieb uns weg (zumin-
dest ging es mir so) beim Anblick der erwähnten Filmkunstwerke.
Was soll ich nun von Gegen die Wand (Duvara karsi, der türkische
Filmtitel) halten? Soll ich mich nun für diesen Film positiv
stimmen lassen, da er so hoch gepriesen und mit einem nicht ganz
unwichtigen Deutschen Filmpreis beschmückt worden ist?
Nein, ich glaube nicht.
Eine nach sexueller Erfahrung lechzende junge Frau, ein stark
depressiv gestimmter Mann im mittleren Alter, das Nachtleben
mit dem dazupassenden Alkohol- und Drogenkonsum, die Tradition
im Gegensatz zu der wahren Liebe...
... ich glaube, mir wird SCHLECHT!
Am Schluss des Filmes ist man dann so richtig schockiert (und das
meine ich nicht unbedingt im positiven Sinne), so, dass man den
folgenden abschliessenden Eindruck einfach nicht unterdrücken
kann:
Eine Frau tat Böses - sich selber und anderen Menschen an - und
der Regisseur versuchte, darüber türkisch/deutsch "zu sprechen"
bzw. einen Film zu drehen.
Ich gratuliere Herr (Fatih) Akin: sie haben mit diesem
Film bewiesen, wie man die Verherrlichung der Abscheulichkeit
mit Bravour ins Rampenlicht stellen kann.
Gegen die Wand: tu Böses und sprich darüber!… Mehr anzeigen
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