Die Herbstzeitlosen Schweiz 2006 – 90min.
Filmkritik
Rüstige Rentner
Seit ihr Mann gestorben ist, hat Martha die Freude am Leben verloren. Ihr Dorfladen dümpelt vor sich hin und auch bei der Jassrunde mit ihren drei Freundinnen will die rechte Freude nicht mehr aufkommen. Sohn Walter, der alles andere als heilige Dorfpfarrer, möchte den Laden sowieso für seine Bibelgruppe, und auch Martha würde am liebsten ihrem Mann ins Jenseits folgen.
Zum Glück gibt es noch das quirlige Lisi (Heidi Maria Glössner), die gegen die allgemeine Resignation ankämpft und Martha (Stephanie Glaser) dazu bringt, ihren lange gehegten Traum - eine eigene Lingerie-Boutique - zu verwirklichen. Und so wird aus dem braven Lädeli beinahe über Nacht ein sündiger Reizwäschetempel. Im kleinen Dorf Trub ist man sich solches nicht gewohnt, und schnell macht sich allerorten der Widerstand breit. Der scheinheilige Pfarrer (Hanspeter Müller) opponiert ebenso wie der lokale Rechtspolitiker gegen die heissen Höschen, und auch Marthas Freundinnen sind nicht alle angetan von deren textilerotischen Eskapaden.
Die Vorbilder von «Die Herbstzeitlosen» sind schnell ausgemacht, es sind Feel-Good-Filme wie «The Full Monty» mit jener besonderen Mischung aus Humor, Gesellschaftskritik und liebenswerten Figuren, die besonders die Engländer so gut beherrschen. Man nehme ein an sich ernstes Thema und eine Hauptfigur, die bereit ist, sich gegen alle Widerstände durchzusetzen, garniere es mit genügend Humor, und fertig ist die warmherzige Komödie. Das Schema ist bekannt und vielfach erprobt, fragt sich einzig, wie erfolgreich die Helvetisierung verläuft.
Obwohl Bettina Oberlis Erstling, das bedrückende Arbeitslosenportrait «Im Nordwind», alles andere als witzig war, erweist sich die Regisseurin ihrer Aufgabe mehr als gewachsen. «Die Herbstzeitlosen» findet über weite Strecken hinweg die richtige Mischung aus Witz und Melancholie und erzählt seine im Grunde weitgehend absehbare Geschichte mit Tempo und Charme. Wichtigster Trumpf der Regisseurin sind dabei die vier rüstigen Alten, die das übrige Ensemble locker an die Wand spielen. Während Müller in seiner zugegebenermassen etwas konstruierten Rolle ziemlich verloren wirkt, blühen die Frauen um Glaser richtig auf. Da wird so viel gereifter Charme versprüht, dass man auch gerne über das eine oder andere zu überzeichnete Detail hinwegsieht - denn Hand aufs Herz: Wer mag sich heute noch ab Reizwäsche enervieren?
Oberlis Film ist auch ein wichtiger Beitrag in der neu aufgeflammten Diskussion, was der Schweizer Film kann und soll, zeigt er doch, dass sich anspruchsvolleres Unterhaltungskino nach internationalem Muster ohne weiteres auf Schweizer Verhältnisse übertragen lässt. Das Premierenpublikum in Locarno war auf jeden Fall begeistert, und für Stephanie Glasser gab es verdientermassen stehende Ovationen.
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